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Infotext: Essen im Zeitalter der Industrialisierung - Einwanderung ins Ruhrgebiet

Während das Ruhrgebiet vor 1800 landwirtschaftlich geprägt war, setzten mit der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts große Veränderungen in nahezu allen Lebensbereichen ein. Das Ruhrgebiet wurde eine der wichtigsten Industrieregionen des Deutschen Reiches.

Im Bergbau und in den Betrieben zur Metallverarbeitung wurden wesentlich mehr Arbeitskräfte als zuvor in der Landwirtschaft benötigt. Während die Zeit bis 1870 von Einwanderungen aus den umgebenden Gebieten geprägt war, änderte sich dies nach der deutschen Reichseinigung 1870/71. Der wirtschaftliche Aufschwung und die Expansion der für das Ruhrgebiet typischen Industriezweige erhöhte die Nachfrage nach Arbeitskräften. Gezielt warb nun beispielsweise die Zeche Victor in den östlichen Gebieten des Deutschen Reiches um Arbeitskräfte. Ab den 1880er Jahren setzte eine Massenzuwanderung aus den östlichen Provinzen ein. Diese Zuwanderung hielt bis zum Ersten Weltkrieg an.

Zunächst wurden Bergarbeiter aus Oberschlesien angeworben. Allerdings konnte die Zuwanderung aus Oberschlesien den Arbeitskräftemangel nicht beheben. Daher wurde nun auch in den überwiegend agrarisch strukturierten Provinzen Preußens (Ostpreußen, Westpreußen, Posen) um Arbeitskräfte geworben. Auch aus Gebieten östlich des Deutschen Reiches wanderten Arbeiter ins Ruhrgebiet ein.

Die Bewohner des Ruhrgebiets nannten die Zuwanderer (Immigranten) aus den Ostprovinzen  „Ruhrpolen“, da sie zumeist polnisch beziehungsweise eine Sprache sprachen, die den Ortsansässigen unbekannt war. Jedoch erkannte man bei genauerer Betrachtung unterschiedliche ethnische und religiöse Gruppen.

Essen 1829, Zeitgenössisches Aquarell Blick von Osten auf die Stadt (© Stadtbildstelle Essen).
Essen um 1865 von Osten (© Stadtbildstelle Essen).

Der größte Teil der Immigranten kam aus den Gebieten der deutschen Ostprovinzen. Seit der dritten polnischen Teilung (1795) lebte in Preußen seitdem eine große polnische Minderheit. Diese meist katholischen Polen hatten sowohl die preußische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Damit besaßen sie andere Rechte und Pflichten als die polnischsprachigen Immigranten aus den Gebieten in Russland oder Österreich. Obwohl sie deutsche Staatsbürger waren, strebten viele dieser Polen eine Errichtung eines polnischen Nationalstaates an.

Es wanderten ebenfalls Masuren in das Ruhrgebiet ein. Sie waren auch preußische Staatsbürger, gehörten aber der evangelischen Religion an. Die Masuren unterschieden sich von den Preußen hinsichtlich der Sprache (Altpolnisch - Deutsch) und von den "Ruhrpolen" hinsichtlich der Religion (Evangelisch - Katholisch). Außerdem erstrebten die Masuren nicht die Errichtung eines polnischen Nationalstaates an. Vielmehr fühlten sie sich Preußen verbunden.

Bis zum Ersten Weltkrieg wanderten ca. 350 000 – 500 000 Menschen aus den deutschen Ostprovinzen ins Ruhrgebiet ein. Während in der Anfangsphase meist junge Männer ins Ruhrgebiet immigrierten, holten sie später ihre Familien nach oder heirateten im Ruhrgebiet. Hierbei wurden allerdings meist Ehen mit Frauen aus den Ostprovinzen geschlossen.

 
"Ruhrpolen": Pauschaler, negativ abwertender Begriff für alle polnischsprechenden Immigranten im Ruhrgebiet. Unter diesem Begriff wurden im 19. Jahrhundert verschiedene ethnische und religiöse Gruppen zusammengefasst.

Die drei polnischen Teilungen: Im 18. Jahrhundert gab es drei polnische Teilungen. In den Jahren 1772, 1793 und 1795 annektierten Russland, Preußen und Österreich Teile Polens. 1795 hörte Polen als Staat auf zu existieren. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde Polen wiedererrichtet.